„Was hat das Leben dann noch für einen Sinn?“ Diese Frage stellte mir eine ältere Klientin, die kurz vor ihrem Umzug in ein Seniorenheim stand.
Sie hatte ihren Mann und ihren einzigen Sohn bereits vor einigen Jahren verloren und hat keinen näheren Verwandten mehr. Man könnte meinen, dass das in ihrer Situation eine nachvollziehbare Frage sei, aber ähnliches hörte ich einige Zeit später auch von einer jungen Frau. „Hat das denn alles überhaupt noch Sinn, das frage ich mich, wenn ich den letzten Welt-Klima-Bericht anschaue?“ Sie stand kurz vor ihrem letzten Examen und kam mit der Diagnose „Burnout“ zu mir. Sie war einige Jahre aktiv in einer Umweltbewegung gewesen, die aber durch Corona beinahe zum Erliegen gebracht worden war. Dazu beunruhigten sie die Nachrichten von Krieg und Umweltkatastrophen überall auf der Welt. Ihre Stress-Belastung durch die bevorstehende Prüfung wurde dadurch noch verstärkt.
Die Frage nach dem Sinn beschäftigt uns Menschen seit Jahrhunderten und sie bleibt aktuell auf das persönliche Leben bezogen sowie auf Entwicklungen in der Welt. Sinnkrisen können in jedem Alter auftreten und verschiedene Auslöser haben. Dazu gehören das Zerbrechen einer Beziehung/Familie, Verlust des Arbeitsplatzes, Krankheit usw. Auch Dauerbelastung und damit verbunden chronische Erschöpfung oder Burnout können dazu führen, dass man keinen Sinn mehr im Leben sieht und keine Freude am Leben mehr empfinden kann.
Ich erinnere mich gut, dass ich als junge Frau einem damals sehr viel älteren und als weise geltenden Menschen die Frage nach dem Lebenssinn stellte. Mit seiner Antwort „Das Leben selbst ist der Sinn“ konnte ich damals noch nicht viel anfangen. Heute verstehe ich das schon besser. Ich kann besser erkennen, dass sich die Welt in einem Evolutionsprozess befindet und jede und jeder von uns für eine begrenzte Zeit Teil dieses Prozesses ist. Unsere Aufgabe ist es mit den eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten mitzuwirken an diesem Entwicklungs- bzw. Bewusstwerdungsprozess.
Ich überlasse es Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, wie Sie den Sinn des Lebens für sich definieren.
Ich würde Ihnen gern aus meiner therapeutischen Erfahrung Wege aufzeigen, die Menschen dabei unterstützen können, immer wieder auch in Krisensituationen eine Erfahrung von Sinnhaftigkeit zu machen.
Der Körper als Verbündeter
„Der Körper ist der Ort der Wahrheit“ sagt ein indisches Sprichwort. Mit einer Köper- bzw. Atemerfahrung habe ich auch bei der oben beschriebenen jungen Frau begonnen. Zunächst sollte sie einfach ihren Atem beobachten, zuerst im Sitzen und dann im Liegen. Ich stellte ihr Fragen wie: ist der Atem kurz oder lang, tief oder flach? Ist die Atembewegung mehr im Bauch- oder im Brustraum wahrzunehmen? In einem nächsten Schritt sollte sie das Einatmen und die danach folgende Pause der Atemfülle wahrnehmen und das Ausatmen und die kurze Pause der Atemleere. Durch diesen Prozess des Ein- und Ausatmens wird unser Leben erhalten, vom ersten bis zum letzten Atemzug. Meine Klientin spürte schon nach wenigen Minuten eine wohltuende Ruhe. Wir erweiterten dann die reine Atembeobachtung um einfache Körperbewegungen und eine Yoga-Übung, die sich „Berg“ nennt. Dabei geht es um bewusstes Stehen in völliger äußerer und innerer Balance.
Ähnliche Empfehlungen hatte ich auch der älteren Dame gegeben, nämlich alle Möglichkeiten zu nutzen ihren Körper zu spüren, sich zu bewegen, vielleicht zu tanzen nach ihrer Lieblingsmusik.
Mit einem frohen Gesichtsausdruck erzählte sie mir, wie viel Freude ihr Wanderungen machen, auch wenn sie in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt ist und die Strecken nur noch kurz sind, die sie bewältigen kann. Auch gibt es in ihrem neuen Wohnheim ein Angebot an Yoga, das sie wahrnehmen wird.
Um Krisen zu meistern, welcher Art sie auch sind, brauchen wir einen gesunden Körper und ein stabiles Immunsystem. Wenden wir uns auf achtsame und liebevolle Weise unserem Körper zu, können wir erfahren, wie in diesem Wunderwerk alles miteinander verbunden ist, nichts ist beliebig und zufällig, alles ist auf sinnvolle Weise geordnet.
Natur und Achtsamkeit
Die alte Dame erzählte mir Wochen später, dass sie sich jeden Morgen an den Pflanzen auf ihrem winzigen Balkon erfreut. Früher war ihr Blick morgens auf einen großen Garten gefallen, der im Laufe der Zeit immer mehr getrübt worden war durch die damit verbundene viele Arbeit, die sie immer mehr überfordert hatte. Jetzt habe sie – so erzählte sie – nur noch ein kleines Rosenstöckchen, das sie liebevoll pflegen werde. Das erinnerte mich spontan an die zauberhafte Geschichte vom kleinen Prinzen, für den eine einzige Rose zum Mittelpunkt seiner Welt wurde, weil er sich mir ihr vertraut gemacht hatte.
Achtsamkeit auch auf die kleinen Dinge des Lebens hilft uns wieder Kontakt mit unserer Seele aufzunehmen. Wir können wieder Freude spüren und einen Sinn auch in den alltäglichen Tätigkeiten finden. Achtsamkeit führt zum Staunen – zum Beispiel über die Wunder der Natur. Denn tatsächlich scheint es in jedem Frühjahr ein Wunder zu sein, dass die kahlen Bäume fast über Nacht grün geworden sind. Vor meinem Fenster ist im letzten Jahr bei einem großen Sturm ein riesiger Baum auseinandergebrochen. Ein Teil blieb stehen und ich konnte staunend beobachten, wie aus diesem Baumstumpf neue Triebe herauskamen die ihn im Sommer vollständig begrünt haben. Die Natur lehrt uns also, immer wieder auf unsere Kräfte zu vertrauen, auf das Neu-werden in uns, das uns aus Krisen herausführt, oft kraftvoller als wir vorher waren.
Meine Klientin lernte in den nächsten Wochen auf diese Weise ihr neues Leben anzunehmen und sich in kleinen Schritten aus der Sinnkrise heraus wieder auf das Leben zuzubewegen.
Bachblüten als „Seelenfreunde“
Der englische Arzt Dr. Edward Bach hat Pflanzen sogar als hilfreiche Engel bezeichnet, die uns in Zeiten der Not unterstützen und trösten. Seit Jahrzehnten arbeite ich erfolgreich mit den nach ihm benannten Bachblüten. Sie bedeuten gerade in Zeiten von Krisen und Herausforderungen eine große Hilfe. Die 38 Blütenessenzen (wobei es sich bei einer Bachblüte nicht um eine Blütenessenz sondern um Quellwasser/Rock Water handelt) beziehen sich auf jeweils unterschiedliche Gemütszustände. Dazu gehören allgemeine und konkrete Ängste, Gefühle von Verlassenheit und Verlorenheit, mangelndes Vertrauen in das eigene Leben oder fehlende Lebensfreude. Diese Therapie ist einfach anzuwenden und hat keinerlei Nebenwirkungen. Bachs Wunsch war es, dass Menschen in Zeiten von Krisen und Notsituationen selbst ein Mittel der Hilfe und Heilung in der Hand haben. Das hat er auch in seiner kleinen Schrift „Heile dich selbst“[1] dargelegt, die auch heute noch lesenswert ist. Sie finden am Ende des Artikels einen Hinweis auf meinen kleinen Bachblüten-Ratgeber, der aus meiner Praxiserfahrung entstanden ist. Darin finden Sie auch konkrete Hinweise auf Krisensituationen und die entsprechenden Bachblüten, die dabei zum Einsatz kommen können.
Imagination und Reisen in die Seele mit Musik
Imagination ist die Fähigkeit, innere Bilder im Geist zu entwickeln, sie zu erforschen und bewusst zu verändern. In schamanischen Kulturen wurde diese Fähigkeit vor allem zu Heilzwecken genutzt. Mit Hilfe der Imagination können wir unsere kreativen Fähigkeiten entwickeln, die Beziehung zur Intuition stärken, negative und belastende Gefühlszustände verändern usw. Wir wissen heute aus der Gehirnforschung, dass wir mit unserer Vorstellung, mit unseren inneren Bildern, vor allem wenn sie mit positiven Gefühlen verbunden sind, auf die Realität einwirken können. Die noch junge Medizinwissenschaft der Psychoneuroimmunologie beschäftigt sich sehr intensiv damit und kann inzwischen nachweisen, welch großen Einfluss wir damit auch auf unsere Gesundheit haben. Prof. Dr.Christian Schubert, der zu meinem Buch „Immunsystem und Psyche“ das erste Kapitel beigesteuert hat, hat dies sehr gut nachvollziehbar beschrieben.
Wenn Sie Musik lieben, kann sie dabei eine besondere Hilfe sein. Wählen Sie z.B. ein Musikstück, das Sie kennen und mögen und lassen Sie sich in einem tief entspannten Zustand von der Musik in Ihre innere Welt führen, zu Orten innerer Kreativität, innerer Geborgenheit – oder was jetzt gerade für sie wichtig ist.
Wenn Sie zum Beispiel gerade das Gefühl haben, den Lebenssinn verloren zu haben, bitten Sie die Musik, Ihnen Bilder, Erinnerungen, Gefühle oder Wahrnehmungen zu zeigen, die Sie wieder verbinden mit der inneren Kraft und Lebendigkeit, die sie sich wünschen.
Austausch mit anderen
Zu diesem Austausch können auch Bücher gehören und damit Gedanken von Menschen, die sich mit Themen wie Lebenssinn beschäftigt haben. Hilfreiche Literatur gibt es dazu von den großen Philosophen, den WeisheitslehrerInnen aus aller Welt. Lesen Sie Biographien von bedeutenden Frauen und Männern, die unsere Welt mit ihrem Wissen und Können, ihren Gedanken und Taten bereichert haben. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von Maria Montessori, die durch ihr mutiges Wirken dem Blick auf die Entwicklung von Kindern eine neue Perspektive gab. Wenn es um Wege aus der Sinn-Krise geht, lohnt sich auch ein vor vielen Jahrzehnten erschienenen Buches von Selvarjan Yesudian zu lesen.[2] „Steh auf und sei frei“ lautet der Titel, der uns ermutigen soll, nie aufzugeben und Herausforderungen und Krisen als Chancen zu verstehen.
Vor allem aber ist es der konkrete Austausch mit anderen Menschen, der uns hilft, einen wirksamen Weg aus einer Sinnkrise zu finden. Wenn wir unseren Blick von uns abwenden und anderen zuwenden, wenn wir dazu beitragen, dass andere Menschen weniger einsam sind oder wir Leid lindern können, werden wir schneller aus der eigenen Krise herauskommen.
Diesen Weg hat letztlich meine junge Klientin gewählt. Mit Hilfe von Imaginationsübungen, Musikreisen mit der Unterstützung durch Bachblüten konnte sie wieder zu einem stabileren Selbstbewusstsein finden und zunächst ihre Prüfung meistern. Nach einigen Monaten hatte sie ihre Krise überwunden. So kam auch ihre Freude zurück am Austausch mit Gleichgesinnten, sie konnte wieder Pläne schmieden und sich für ihre Ziele einsetzen. Ich war sehr froh, dass sie sich dafür Zeit ließ. Heute erschöpft sie sich nicht mehr in ihrer Begeisterung, die damals zu ihrer psychischen Krise beigetragen hatte.
Spiritualität
Themen wie Spiritualität und Transzendenz stehen seit einigen Jahren deutlicher im Fokus von wissenschaftlichen Untersuchungen vor allem aus den Bereichen Psychoneuroimmunologie und Resilienz-Forschung aber auch aus der Psychologie. Dabei wird Spiritualität in der Regel als eine umfassende Erfahrung von Verbundenheit, von Überwindung des Egos verstanden, im Sinne einer inneren Wirklichkeit, die über das sinnlich Erfassbare hinausgeht - eine Erfahrung, die von meinen KlientInnen als stabilisierend und stärkend in Krisen beschrieben wird.
Spirituelle Erfahrungen können wir innerhalb und außerhalb einer Religion machen, in der Natur, in der Begegnung mit Menschen, in der Meditation usw. Für den Schweizer Arzt und Tiefenpsychologen C.G. Jung bedeutet eine solche Erfahrung immer eine seelische Erfahrung, ganzmachend, heilend und rettend.
Eine der vielen Definitionen von Meditation heißt „nach-denken, nach-sinnen“. In der Meditation können wir ein tieferes Verhältnis zu uns selbst und zur Welt erfahren.
Die Voraussetzung dafür ist, dass unsere Gefühle und das Gedankenkarussell in unserem Kopf zur Ruhe gekommen sind. Der Sinn der sich uns in Momenten tiefer Stille erschließt, muss nicht zwangsläufig zu einer konkreten Erkenntnis führen, auch wenn das durchaus möglich ist. Aber immer werden wird dadurch mehr bei uns sein, ruhiger, gesammelter und mehr in Einklang mit uns und der Welt.
Meditation kann uns zu einer Erfahrung führen, die bis zum letzten Moment unseres Lebens möglich ist, denn auch in diesem kann noch ein Sinn verborgen sein.
Autor: Anna Elisabeth Röcker M.A., Heilpraktikerin und Musiktherapeutin (GIM)
Thema: Wege aus der Sinnkrise
Webseite: https://www.annaroecker.de
Autorenprofil Anna Elisabeth Röcker:
Anna Elisabeth Röcker M.A. ist Heilpraktikerin und Musiktherapeutin (GIM). Sie absolvierte ein berufsbegleitendes Studium in Analytischer Psychologie am C. G. Jung Institut Zürich. Sie arbeitet in eigener Praxis für Therapie und Inner Coaching in München und bietet außerdem Seminare und Fortbildungen zu verschiedenen Themen wie Schulung der eigenen Intuition, Musik als Weg zur Seele, Immunsystem und Psyche usw. an. Sie ist Autorin verschiedener Lebenshilfe-Ratgeber. Die Bachblüten-Therapie bezieht sie seit Anbeginn in ihre Arbeit sowie in ihre Seminare ein. Ihre langjährigen Erfahrungen verarbeitete sie in mehreren ihrer Bücher sowie in einem Kartenset, bei dem es vor allem um die meditative Erfahrung der Bachblüten geht.
Weiterführende Bücher und Informationen zum Thema:
- [1] Heile dich selbst mit den Bach-Blüten (Knaur Taschenbücher. Alternativ Heilen) von Edward Bach, Jens E Petersen, et al. | 1. Januar 1988
- [2] Steh auf und sei frei: Yoga und Selbstfindung von Selvarajan Yesudian | 27. Juni 2016
- Anton A. Bucher. 2007. Psychologie der Spiritualität. Handbuch. Beltz, Weinheim, here quoted in: C.G.Jung Schriften zu Spiritualität und Transzendenz. 2013. Ausgewählt und herausgegeben von Brigitte Dorst. Patmos Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildern. (p. 8)
- Heilen mit Bachblüten. Kompakt-Ratgeber, Mankau Verlag
- Immunsystem und Psyche – ein starkes Paar: Die Kraft die uns am Leben hält verstehen und stärken. Scorpio Verlag
- YOGA – Sieben individuelle Programme zur ganzheitlichen Gesundheit.
Bassermann Verlag - Der Garten der Seele - Meistere dein Leben mit der Kraft der Archetypen.
Verlag Crotona - CD: Die Tore der Seele öffnen – Chakra-Meditationen. Via Nova Verlag
Mit Yoga Nidra das Leben meistern. Via Nova Verlag - Yoga Nidra CDs zu verschiedenen Themen. Via Nova Verlag
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