Eine Welt umspannende Seuche ist nicht durch regionale oder nationale Maßnahmen zu bewältigen.
Das wurde uns durch die Folgen der brutalen Ausgangsbeschränkungen in einigen Nachbarländern vor Augen geführt: nach einiger Zeit der Entspannung nach dem Zulassen normalen Lebens ging es mit stark erhöhten Infektionszahlen in den nächsten Zyklus.
Massive Bewegungseinschränkungen wie die 15km-Regel in Deutschland (wer hat die eigentlich erfunden? Gilt die eigentlich noch?) sind unverständlich und skurril. Als Berliner wähnte ich mich plötzlich von einer virtuellen neuen Mauer umgeben, die Grenze zum Land Brandenburg traue ich mich seit einiger Zeit mit meinem Berliner Kennzeichen nicht mehr zu überschreiten, Bewohner verschiedener Kreise und Bundesländer beäugen sich misstrauisch, eine merkwürdige Form der Denunziation greift um sich.
So kann es nicht weitergehen. Die ständige Senkung der Inzidenzzahlen vor Lockerungen (erst 50, dann 25, oder doch lieber 10) führt zu Unmut und Unverständnis. Merkwürdigerweise wurde das Konzept der Bewegungseinschränkungen durch das einzige Mittel der Mobilität entwickelt. Diese wird am Bewegungsmuster der in Deutschland herumgetragenen Mobiltelefone ermittelt. Diese primitive lineare Funktion als Maßstab für die Bewegungsfreiheit der Bürger wurde nie in Frage gestellt, ein Alternativmodell ist mir nicht bekannt.
Ein Konzept für die komplexen und differenzierten Bedürfnisse unter Beachtung des Infektionsschutzes findet man bei keinem einzigen Politiker. So ist es nicht verwunderlich, dass eine Studie der R+V- Versicherung Anfang Februar feststellt, dass das Vertrauen der Bürger in die Politiker deutlich gesunken sei und dass diese als überfordert angesehen werden, einer Pandemie Herr zu werden.
In allen Gesellschaftsbereichen gibt es dagegen überzeugende Hygienekonzepte, in die 2020 viel Innovationskraft und Investitionen eingebracht wurden, ohne dass sie Akzeptanz in der Politik gefunden hätten. Die Diskussion über die Wirksamkeit solcher Modelle sollte wieder aufgenommen werden, um die Selbstverantwortung der Bürger zu stärken und an die Stelle von nur vorübergehend wirksamem Holzhammergebaren der heutigen Politiker zu treten, da als Ergebnis die Rückkehr zu den Freiheitsrechten der Bevölkerung steht.
Ungeachtet dieser Kritik ist vielen Politikern ehrliches Bemühen zu attestieren. Es fehlt aber die Würdigung der Komplexität einer freiheitlichen Gesellschaft, wie sie in unserer Verfassung festgeschrieben ist. Oft fehlt es auch an Empathie! Wie der Rostocker Oberbürgermeister jüngst festgestellt hat, müssen wir lernen, mit dem Virus zu leben und dabei so viel freiheitliches Leben wie möglich zu erhalten.
Nach Überwindung der Pest im Mittelalter gingen als erste die Musiker, Künstler und Sänger auf die Straße, um den Menschen die Freude über die wieder gewonnene Freiheit zu übermitteln und sie aufzufordern, zum Singen und Tanzen auf die Straßen zu kommen.
Auch wenn wir diesen Zustand noch nicht erreicht haben, sollten wir es unseren Künstlern erlauben, die Bühnen zu beleben (die Hygienekonzepte haben sie und sie brennen darauf, uns zu erfreuen). Sie könnten uns Hoffnung machen und die Motivation zur Überwindung der Dunkelheit und zur Überwindung der Seuche als gemeinsame Aufgabe zu definieren.
ICH WEISS, ES IST EIN TRAUM - ABER EIN TRAUM MIT PERSPEKTIVE!
Bevor wir uns diesem Traum hingeben, sollten wir noch kurz in die bundesrepublikanische Wirklichkeit zurückkehren, in der Hoffnung aus den aufzuzeigenden Fehlern Lehren zu ziehen, denn so laienhaft wie in den letzten Monaten sollten wir einer Seuche nicht noch einmal zu begegnen versuchen.
Zunächst möchte ich zwei Punkte hervorheben:
- Allen an der Versorgung von hilfsbedürftigen Menschen beteiligten Berufsgruppen ist höchste Anerkennung entgegen zu bringen. Diese kann sich nicht in gelegentlichen Beifallsbekundungen oder Prämienzahlungen erschöpfen, sondern es müssen grundlegende Veränderungen und Verbesserungen vorgenommen werden. Diese Berufe müssen attraktiver ausgestaltet und die Arbeitsbedingungen deutlich verändert werden. Das wird nicht nur Geld kosten (und der beabsichtigten Ökonomisierung in diesen Bereichen zuwider laufen) sondern auch andere Arbeitskonzepte mit dem Ziel der Arbeitszufriedenheit beinhalten. Sonst wird die dringend notwendige Nachwuchsförderung nicht gelingen. Auch ein sozialer Beruf muss attraktiv ausgestaltet sein!
- Der öffentliche Gesundheitsdienst wurde in den letzten Jahrzehnten von den politisch Verantwortlichen systematisch ruiniert - und wird in der jetzigen Krise nur durch massive Hilfe der Bundeswehr funktionsfähig gehalten. In einer Erklärung schreibt der Bundeswehrverband Anfang Februar, dass die Strukturen zur Katastrophenbewältigung systematisch vernachlässigt worden seien. In diesem Zusammenhang wird von „Staatsversagen“ gesprochen. Es räche sich jetzt, dass die Gesundheitsämter personell und materiell „völlig unzureichend ausgestattet“seien.
Es wird darauf zu achten sein, dass diese Themen nicht im Wahlkampfgetümmel untergehen. Den Schaden würden wieder wir alle tragen. Es müssten noch viele andere Fehler aufgezeigt werden, vor allem das Ignorieren vieler Vorgaben (durch die Regierung) aus dem Infektionsschutzgesetz und der eklatanten Fehleinschätzung der effektiven Schutzwirkung von Mund-Nasenschutz-Masken und viele Torheiten und Fehleinschätzungen mehr. Das Impfdebakel ist hinreichend beschrieben worden.
Die gegenwärtige Lage ist bestimmt von einem deutlichen und erfreulichen Rückgang der Inzidenzzahlen, der aber nur flüchtig gewürdigt und von einer Angst vor den Mutationen abgelöst abgelöst wird. Angst machen und Panik verbreiten scheint das Gebot der Stunde zu sein.
Auf die länger zurückliegenden Mahnungen von Wissenschaftlern (vor Mutationen) hat der Gesundheitsminister in bewährter Manier gar nicht reagiert (wahrscheinlich waren diese schon länger da), erst als aus diesem Befund eine Schlagzeile zu machen war, trat er auf die Bühne.
Es ist nicht zu leugnen, dass die massiven Beschränkungen zu erheblichen Schäden in der Gesellschaft geführt haben die nicht gebührend gewürdigt werden und die sich oft auch erst viel später manifestieren werden.Dabei handelt es sich aber keineswegs um Kollateralschäden, sondern um Schäden unterschiedlicher Art und Schwere, die zu Defekten am psychosozialen Körper der Gesellschaft werden können.
In der oben schon erwähnten Studie der R+V-Versicherung heißt es denn auch unmissverständlich “die erzwungene Isolation und die Dauer der Pandemie befeuern die Ängste“.
Hinter dieser Feststellung verbergen sich eine Fülle von Schicksalen, die sich in den Inzidenzzahlen keinesfalls widerspiegeln. Wer diese Folgen aber ignoriert und kein schlüssiges Gesellschaftskonzept entwickelt, das der Komplexität freiheitlichen Lebens Rechnung trägt, der sollte sich umfassender als bisher beraten lassen.
Zum Abschluß möchte ich noch einmal auf das Thema Kunst und Kultur zurückkommen:
In guten Zeiten schmücken sich Politiker gern mit Künstlern. Ob diese Freundschaft nach dieser Krise wiederbelebt werden kann (da viele gar nicht in ihren Beruf zurückkehren können) wird sich zeigen. Wir sollten an dem jetzigen Punkt der Seuche mehr auf unsere Kulturschaffenden zugehen und ihnen zuhören. Deren Sensibilität kann uns jetzt und später zugute kommen!
Autor: Dr. Herbert Menzel
Thema: Corona und kein Ende? Öffnet die Bühnen!
Webseite: https://www.doktor-menzel.de
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